Friedoberts drittes Abenteuer

 


Sommer auf dem Altan. Über mir reift der Rotwein. Kapuzinerkresse und Pelargonien unterm Schutz der Pergola stehen in voller Blüte. Gestern hatte Marlene, die luchsfleckige Tigerkatze, ihren dritten Geburtstag. Sie interessierte sich zwar schon mal fürs Arbeiten am Computer: doch weitaus mehr noch für alles, was im Weinlaub oder im Garten herum fliegt.


Solange das Leben selbst zur Fabel gerät, bleibt das Fabulieren naturgemäß nebensächlich. Das verüble ich der Mieze nicht. Notfalls kann ich meine Gedanken ja ins Weinlaub schicken und dort gemeinsam mit Marlene  spannende Aben-teuer suchen. Wo-bei es - und das habe ich längst von den Katzen gelernt - es keinerlei Rolle spielt, ob zwischen dem Laub sich tat-sächlich eine Maus versteckt hält oder ob sie nur in der Vorstellung exis-tiert. Lediglich ge-dachte Mäuse können - das ist sogar ihre Stärke - je nach Bedarf fliegen oder sich anders fortbewegen. Die Realität im Nachhinein würde solche flugfähigen Tierchen vielleicht in Fledermäuse verwandeln. Aber nicht einmal das scheint vonnöten. Gelegentlich sind imaginierte Mäuse auch ein Schmetterling, der auf den Trauben sitzt. Oder ein kleiner Vogel, der aus den Zweigen schimpft.

Wenn ich daher in Betracht ziehe, dass dieser Reichtum an Fantasie in Marlenes künftigen Geschichten zum Zuge kommt: dann darf mir um den Fortbestand der Fichtlmühlen News nicht mehr bange sein. Trotz dem traurigen Abschied von meinen bisherigen Redaktions-Mitarbeitern mit Fell und Fang, Katze Miezlyn und Kater Puck.


Aber an diesem prächtigen Julitag lässt sich mit Marlenes Hilfe bzw. Inspiration wohl kaum rechnen. So bleibt es mir ganz alleine überlassen, zu ersinnen, welches Abenteuer Friedobert - der Neffe vom Zauberer Fridolin - heute wohl besteht. Beispielsweise könnte der Lauselümmel seines zauberkundigen Oheims Notizblock entwenden, um lustige Begebnisse nach seinem Geschmack entstehen zu lassen. Als erstes zeichnet Friedobert einen Zirkustiger, der in der Arena einen flammenden Ring hält und seinen Dompteur hindurch springen lässt. Diesen Rollentausch findet er umwerfend komisch.













Als nächstes zeichnet er dem Dompteur einen Zauberstab in die Hand. Mit dessen Hilfe verwandelt der Dompteur seinen Tiger in einen Pudel. Der Pudel bellt markerschütternd und will den Dompteur beißen und. In höchster Not rettet sich der Dompteur vor dem Hund und wechselt flugs aus dem aufgeschlagenen Blatt im Notizbuch auf ein anderes hinüber.

Auf diesem anderen Zeichenblatt trifft er ein Nashorn. In jenem Augenblick ahnt der Dompteur allerdings noch nicht, dass sein Gegenüber einen Mords-Schnupfen hat. Mit dem Horn auf der Nase kann es nämlich furchtbar niesen. Und zwar dermaßen, dass es den Dompteur auf eine weitere Seite im Notizbuch schleudert.

Dort angekommen, findet sich unser Tierbändiger auf einem Palmenstrand und entdeckt ein Piratenschiff. Seine Besatzung hievt gerade einen Schatz, den sie aufgrund eines von ihnen eroberten Lageplans auf der Insel ausgegraben hat, an Bord. In Siegerlaune über ihren Fund singen Kapitän und Matrosen dabei fröhliche Lieder.

Irgendwie gefällt dem Friedobert die bunt zusammengewürfelte Mannschaft viel besser als der Tiger, der Pudel und das Nashorn.

„Nehmt mich mit!“ ruft er. „ Ich möchte auch ein Pirat werden.“

Da lachen ihn die Seeräuber aus. Schließlich aber rufen sie ihm zu: „Wenn du das wirklich willst, nehmen wir dich mit auf die Reise.“

Friedobert war außer sich vor Freude und klatschte, dass ihm der Zeichenstift beinahe aus der Hand gefallen wäre.

„Aber solltest du mit uns in See stechen, brauchst du fürs weite Meer ein neues Zeichenblatt.“

„Nehmen wir den Dompteur mit?“ erkundigte sich der Knabe. „Dann muss ich für seine Uniform-Litzen auch noch meinen Goldstift einstecken.“

„Sicher ist sicher,“ meinten die Piraten. Und so schlug Friedobert gleich eine weitere Seite im Notizbuch seines Onkels auf.

Mit blauem Stift zog er den Ozean bis an den Rand des Horizonts. Darüber ließ er einige Flecken weiß auf dem Papier, sie bildeten die Wolken am Himmel. Und hinten, wo das Meer ganz in der Ferne den Horizont  berührte, zeichnete er winzig klein die Segel eines fremden Dreimasters.

Da holte der Kapitän sein Fernglas hervor und hielt es ans Auge - selbstverständlich an dasjenige, das nicht von einer schwarzen Klappe bedeckt war. Ein solches gehört nämlich wie das Holzbein zu jedem zünftigen Piraten-Kapitän, wenigstens  bei offiziellen Anlässen. Fühlt er sich mal ganz privat, legt er sowieso beides ab. Jetzt aber schien ihm `ne offizielle Gelegenheit angesagt.

„Potz Klüverbaum und Möwendreck!“ entfuhr es dem Kapitän, und seine Mannschaft stimmte lauthals zu.„Zwölf Särge und `ne volle Buddel Rum! Da kommt doch der Hein mit seinem schwarzen Albatros. Ein ganz übler Kerl. Das Schiff hat er beim Pokern mit gezinkten Karten gewonnen. Ihm jagen wir gleich hinterher. Wenn es sein muss, bis hin zum Wallersee.“

Und so hisste die Mannschaft sämtliche Segel, stellte sie in den Wind und ließ das Wasser am Bug der „Seeadler“ (so hieß das Piratenschiff) Kurs voraus aufschäumen.

Da wurde dem Friedobert irgendwie bang zumute. Noch dazu tauchte fernab über Meer und Horizont der Klabautermann auf - jedenfalls hielt er ihn dafür, denn wer sonst hätte noch auf das Zeichenblatt gepasst?

Während er sich das Notizbuch seines Onkels Fridolin genauer besah, stellte er fest, dass der Klabautermann statt auf der Seite direkt über dem Buch figurierte. Im Übrigen ähnelte dessen Gesicht geradezu fatal dem Antlitz vom zauberkundigen Onkel.

„Junge, hast du etwa…??? “ begann dieser.

„Aber der Tiger, der Pudel, das Nashorn, der Dompteur und die Piraten.…“ wagte Friedobert die Flucht nach vorne, merklich kleinlaut und schuldbewußt. „Ich werde es nie wieder tun!“

„Wag’ es: du musst es sogar wieder tun. Aber auf einem richtigen Zeichenblock, nicht in meinem Notizbuch!“