Katze Minkas Märchen
Katze Minkas Märchen
Friedobert, des großen Zaubermeisters Fridolin mehr oder weniger wohlgeratener Neffe, hat nun auch eine Katze. Sie - ein tragisch früh verwaister Findling - stellte sich selbst als Minka vor. Ihr Erscheinen verdankt sie meiner luchsfleckig getigerten Mieze Marlene. Denn die redete mir ein, ich müsse durch mein Schreiben endlich dafür sorgen, dass Friedobert eine bekommt.
Anfangs dramatisch und dann doch mit glücklichem Ausgang wünschte Marlene diese neue Fichtlmühlen-News-Geschichte. Nachdem ich diesen Auftrag einiger-maßen zufriedenstellend erfüllt hatte, fragte ich sie, wie es jetzt weiter gehen solle mit der neuen Katze und Friedobert. Sie meinte, das ginge ganz normal. Die Minka, schwarz mit einem weißen Fleck auf der Brust, würde Friedobert Geschichten erzählen. Und die könne er dann aufschreiben.
Dazu meinte ich, das träfe sich gut: umso besser, als uns beiden - ihr und mir - schon seit Längerem der Stoff für Geschichten ausgegangen sei. So könnten doch der Zauberlehrling und …
Da unterbrach mich die luchsfleckig Gestreifte, um klar zu stellen: „Du musst schreiben, dass Friedobert schreibt, was seine Katze ihm erzählt. Und was die ihm erzählt, musst du auch schreiben. Sonst weiß die Minka ja gar nicht, worüber sie mit Friedobert reden soll.“
Das hat einer wie ich davon, wenn er sich am Schreibtisch mit Katzen einlässt! Denn woher soll ich erahnen, was eine kleine schwarze Katze mit weißem Brustfleck Onkel Fridolins Neffen erzählt, damit der es aufschreiben kann? Oder richtiger: erst müßte mir einfallen, was ich der Minka ins Mäul-chen legen könnte, damit sie dem Friedobert erzählt, was er dann auf zu schreiben hätte. Alles miteinander sehr kompliziert. Man wird deshalb verstehen, dass ich es mir einfacher mache und die Story so anpacke:
Friedobert, ein Zauberlehrling und Neffe des berühmten Zaubermeisters Fridolin, hockt wieder mal auf seiner Bank am Teich und schaut den Libellen zu, wie sie von Seerosenblüte zu Seerosenblüte schweben. Neben ihm Platz genommen hat Minka, eine kleine schwarze Katze mit weißem Fleck auf der Brust.
Nach einer Weile bemerkt sie: „Libellen-Schauen ist fad.“
„Was würdest du denn lieber tun?“ erkundigt sich Friedobert.
„Na ja. Du lernst doch auf Zauberer,“ erinnert sich Minka. „Zeig’ mir, was du schon kannst.“
„Einfach nur so zu zaubern, geht nicht. Ich muss wissen, was ich zaubern soll.“
„Kein Problem,“ sagt die Katze. „Ich erzähl’ dir was. Und du zauberst es her.“
„Lass hören,“ gab Friedobert nach.
„Es war einmal,“ beginnt Minka. „Vielleicht wird’ s auch gleich sein, nämlich ein Fest bei Königs. Der König trägt eine goldene Krone und sitzt auf einem prächtigen Thron. Rings um ihn herum tanzen Edelfräuleins und ihre Galane im Kreis. Verstehst du?“
„Klar“, bestätigte Friedobert. „Siehst du den Frosch da drüben auf dem Seerosenblatt? Gleich setzt er sich mitten auf die Blüte. Wenn du genau hinschaust, entdeckst du auch die goldene Krone auf seinem Kopf. Und die Libellen über der Wasseroberfläche tragen ihre Flügel gleich schimmernden Roben und drehen sich wie Paare im Tanz.“
„Ich seh lediglich einen alten Frosch auf dem Blatt im Teich und ein Paar Libellen, die umher schwirren wie vorhin auch.“, antwortete Minka trocken.
„Irgendwie ja schade. Aber wie geht deine Geschichte weiter?“
„Plötzlich denkt sich der Frosch - der König, meine ich - es sei fad, den Libellen - ich meine, den noblen Paaren - bloß zu zusehen, wie sie sich im Kreis drehen. So ruft er nach seinem Haushofmeister, der heute den Hofnarren vertritt, und wünscht von ihm was Unterhaltliches. Eilfertig taucht der auf …“
„Siehst du, da ist er schon!“, greift Friedobert den Faden von Minkas Erzählung auf. „Der Mann, der dort vor dem Seerosenblatt auftaucht, trägt die Ausgehuniform eines königlichen Beamten mit knallrotem Gilet. Zum Zeichen seiner Dienstfertigkeit macht er vor dem König einen Kratzfuß.“
„Seltsam,“ wirft die kleine Katze ein, „ich sah nur einen Molch aus einer Pusteblase auftauchen, blubbern und mit dem Schwanz schlagen. Sag’ mal ehrlich: kannst du überhaupt schon zaubern?“
„Natürlich kann ich zaubern,“ antwortete Friedobert. „Es liegt an dir, wenn du bisher nix davon bemerkt hast. Aber wie geht’s in deiner Geschichte weiter?“
„Der König befiehlt dem Haushofmeister, der heute den Hofnarren vertritt, er solle ihm zur Unterhaltung einen Zauberer herbeischaffen.“
„Also, das hast du dir nur ausgedacht, um mich auf die Probe zu stellen“, wandte Friedobert ein. „Doch warte, bis dein Zauberer beim König erscheint. Oh, da ist er schon!“
Ein prächtiges Spinnentier - ein mit `nem Kreuz auf dem Rücken gezeichneter Araneus diadematus - erscheint in schimmerndem Radnetz zwischen zwei Schilfstängeln.
Mit krächzender Stimme, die das Schilf erzittern lässt, verkündet er: „Bevor ich mich dem Vergnügen unseres Königs widme, habe ich noch etwas zu erledigen. Da drüben auf der Bank am Teich, sitzt eine kleine schwarze Katze mit weißem Fleck auf der Brust. Die ist naseweis.“
Minka erstarrt.
Da lässt der Zauberer Araneus sein kreuzförmiges Zeichen aufblitzen und spricht die Zauberformel: „Phantasia phantastica!“
Ein kurzes Zittern durchläuft Minka. Dann ruft sie: „Schau doch nur, Friedobert! Da drüben bei dem Seerosenblatt sitzt der König auf seinem Blütenthron und rings um ihn her drehen sich schimmernd gekleidete Paare im Kreis. Der Haushofmeister vertritt heute den Hofnarren, trägt eine prachtvolle Beamtenuniform mit knallrotem Gilet und gibt den Zauberer. - Aber, wie hast du es so rasch in das Spinnennetz zwischen den Schilfhalmen geschafft??“